Mein wichtigstes Statement vorneweg:
das False Memory Syndrome gibt es nicht.
Es wurde in die Welt gesetzt, um Täter und Täterstrukturen zu schützen. Leider gaben und geben die Vertreter alles, um sich einen professionellen, wissenschaftlichen und seriösen Anstrich zu geben. Sucht man im deutschsprachigen Internet nach Informationen dazu, findet man z.B. einen Artikel eines großen deutschen Magazins sowie Webseiten eines eingetragenen Vereins. Alle weisen darauf hin, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr besteht, zu Unrecht des sexuellen Mißbrauchs beschuldigt zu werden, häufig, nachdem Therapeuten dem oder der Betroffenen einen sexuellen Mißbrauch eingeredet hätten.
Was ist das "False Memory Syndrome"? Angeblich handelt es sich um die Behauptung, dass sich Betroffenen falsch = unwahr an ihren eigenen erlebten sexuellen Missbrauch erinnern und damit Täter zu Unrecht beschuldigen.
Die ISSTD (International Society for the Study of Trauma and Dissociation - Internationale Gesellschaft für das Studium von Trauma und Dissoziation) veröffentlichte am 21. Januar 2020 einen Artikel mit dem Titel "Rise and Fall of the False Memory Syndrome Foundation", in Deutsch etwa "Aufstieg und Fall der False Memory Syndrome Foundation. Quelle: https://news.isst-d.org/the-rise-and-fall-of-the-false-memory-syndrome-foundation/ Ich empfehle dringend, diesen Artikel zu lesen. Im Chrome Browser lässt er sich auf Deutsch übersetzen. Im Folgenden fasse ich die wichtigsten Punkte zusammen. In kursiv füge ich meine eigene Haltung hinzu: Die False Memory Syndrome Foundation, kurz FMSF, wurde 1992 von Pamela und Peter Freyd gegründet, nachdem Peter Freyd von seiner Tochter Jennifer des sexuellen Mißbrauchs in ihrer Kindheit beschuldigt hatte. Ziel der Stiftung war es, eine breite akademische Gruppe zusammenzustellen, um Betroffene zu diskretieren und sie als Opfer von Therapeuten hinzustellen, denen falsche Erinnerungen von Therapeuten eingegeben worden seien. Um den seriösen Anstrich zu verstärken wurde ein "wissenschaftlicher und fachlicher Beirat" gegründet. Ralf Underwager, eines der Gründungsmitglieder, wurde in den Medien mit der Aussage zitiert, dass 60% der Frauen, die in der Kindheit sexuell mißbraucht worden seien, angaben, dass die Erfahrung "gut für sie sei". Die Organisation wurde bekannt dafür, ihren Anhängern zu empfehlen, Therapeuten zu verklagen. Sie griffen Fachleute an, die mit Überlebenden von Kindesmißbrauch arbeiteten. Es gelang ihr aber nicht, dass ihr so genanntes "False Memory Syndrome" von einem der gängigen Diagnosesysteme ICD oder DSM akzeptiert wurde. Beunruhigenderweise wurde dieses vermeintliche Syndrom von weiten Teilen der Medien aufgegriffen und verbreitet. Es gab auch im Ausland die Gründung von Gesellschaften dieses Inhalts; in Deutschland, Großbritannien und Frankreich sind sie noch aktiv. Für eine Weile war die Macht der FMSF so groß, dass es so schien, als seien die einzigen Menschen mit falschen Erinnerungen diejenigen, die von Kindesmißbrauch berichteten. Ebenso schien es so, dass die angeklagten Täter nur dann genaue Erinnerungen haben könnten, wenn sie den Mißbrauch leugneten. Es ist atemberaubend, wie ein falsches oder nicht vorhandenes Syndrom seine eigene Grundlage erhalten hat. Wie dies geschehen konnte, muss aufgearbeitet werden. Es ist interessant, dass diese Verbreitung nicht möglich gewesen wäre, wenn es nicht einige besonders großzügige Spender gegeben hätte. Über deren Motive kann nur spekuliert werden. Ende Dezember 2019 gab die FMSF in einem kleinen Hinweis am Ende ihrer Website ihre Auflösung bekannt. Warum glaube ich, dass es das False Memory Syndrome nicht gibt? Wer keinerlei Erinnerungsschnipsel, Trigger oder verwirrende Körpersymptome, möglicherweise auch Diagnosen wie Depression, Panikstörungen oder Autoimmunerkrankungen hat, kommt nicht auf die Idee, sich in Traumatherapie zu begeben. Es ist mittlerweile State-of-the-Art, dass traumatische Erinnerungen in Körper und Gehirn gespeichert werden, die nicht unbedingt dem expliziten Gedächtnis zugänglich sind. Hier haben Bessel van der Kolk und Peter Levine Pionierarbeit geleistet. Außerdem stützt die Polyvagaltheorie von Stephen Porges diese Ansicht. Das Gehirn verfügt über einen Schutzmechanismus gegen als überwältigend erlebte Eindrücke: die Dissoziation. Sie bewirkt ein Abgetrenntsein und ermöglicht das Weiter- und Überleben. Durch behutsame Arbeit in der Traumatherapie kann es gelingen, dissoziierte Teile sowie die wahrgenommenen Fragmente zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Doch damit besteht für Täter sowie Täterstrukturen (nicht jeder Täter handelt alleine) die Gefahr, dass ihre Verbrechen sichtbar werden. Da kommt doch ein so genanntes False Memory Syndrome genau richtig... Ich akzeptiere das nicht und stehe kompromisslos auf der Seite der Überlebenden.
Update 13.05.2023
Die Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (die sich aus der deutschen Sektion der ISSTD hervorgegangen und sich von ihr gelöst hat) hat eine Stellungnahme zum Artikel bei Spiegel Online vom 11.03.2023 veröffentlicht, der ich mich anschließe:
Link zum Spiegelartikel mit der Überschrift "Im Wahn der Therapeuten. Vermeindliche Opfer ritueller Gewalt": Link zum Artikel hinter der Bezahlwand.
Link zur Stellungnahme der Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation: https://www.dgtd.de/aktuelles (Link verfügbar Stand 13.05.2023)
Übertrag von Kommentaren aus der Version beim vorherigen Webhoster:
Kommentare: 3
#1Dylara (Dienstag, 09 August 2022 14:03) Danke für diesen wertvollen und aufschlussreichen Artikel. Ich habe inzwischen durchaus den Eindruck, dass man False Memory als Verschwörungstheorie einordnen kann und sollte. Viel Gerede und keinerlei wissenschaftliche fundiert Erkenntnisse
#2Luna (Freitag, 28 Oktober 2022 22:59) Vielen Dank! Mir als Betroffene hilft es sehr, Ihre Position zu lesen. Ich habe immer wieder damit zu kämpfen mich zu überzeugen, dass das real war, was mir passiert ist, ich mir das nicht einbilde, nicht übertreibe und es mir wirklich schlecht geht. Ich kann mich selbst wahnsinnig schlecht abbilden, da ich in meiner Kindheit/Jugend ständig diskreditiert wurde und das habe ich wohl so verinnerlicht, dass ich diese Aufgabe selbst übernehme und meiner Erinnerung kaum glaube bzw. denke ich sei Schuld
#3Alfred Weber (Samstag, 04 Februar 2023 15:24) Natürlich ist es ein extrem schwieriges Feld, denn die Beweislage für strafbares Handeln ist meist nicht gegeben. Zudem liegen die Handlungen der Täter sehr weit zurück, sodass eine psychische Wiederherstellung der Opfer noch lange keine Beweislage schaffen kann. Hier wäre es enorm hilfreich, wenn durch geschulte Beobachtung der Kinder in Kindergärten und Schulen bei bereits geringen Verdachtsmomenten eine psychiatrische Untersuchung zeitnah durchgeführt werden würde. Erst dann könnte man mit guten Chancen eine Beweismittelsicherung bei den Tätern erzielen. Völlig daneben liegt die Justiz, wenn sie solche auch lang zurückliegenden Taten ignoriert. Mit Einfühlungsvermögen und Engagement kann in diesem Sektor viel erreicht werden.
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