Warum Tetris nach Unfall sinnvoll sein kann
- Michaela Buck
- 10. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Ein Unfall - und eine ungewöhnliche Empfehlung
Ein lieber Mensch aus meinem privaten Umfeld hatte gestern einen Motorradunfall. Es lief

verhältnismäßig glimpflich ab, aber er kam mit dem RTW ins Krankenhaus und bleibt zur Beobachtung 48 Stunden dort. Er kann sich nicht an den Unfall erinnern, das hat die Ärzte dort veranlasst, ihn sich genauer anzuschauen. Gut, wenn sie Schädel-Hirn-Verletzungen ausschließen. Mein Blick darauf ist eher eine traumatische Amnesie, aber ich habe nun mal die Trauma-Brille auf...
Darum soll es aber heute gar nicht gehen. Sondern um folgendes:
Als ich ihn später im Krankenzimmer besuchte, haben wir zunächst über den vermutlichen Hergang des Unfalls gesprochen – soweit er sich daran erinnern konnte oder sich Bruchstücke rekonstruieren ließen. Danach kam von mir eine Empfehlung, die er so vermutlich nicht erwartet hätte: Tetris spielen. Und zwar innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Unfall, sobald alle Untersuchungen abgeschlossen waren.
Warum ausgerechnet Tetris nach Unfall?
Hinter dieser Empfehlung steckt keine Laune, sondern fundierte Forschung. Eine britische Studie unter Leitung von Prof. Emily Holmes hat gezeigt: Wenn Unfallopfer innerhalb weniger Stunden nach dem Ereignis für mindestens 10–20 Minuten Tetris spielen – nachdem sie kurz an den Unfall erinnert wurden – reduziert sich die Zahl aufdrängender, bildhafter Erinnerungen („Intrusionen“) in den folgenden Tagen deutlich.
In der Studie hatten die Teilnehmenden, die Tetris spielten, in der Folgewoche 62 % weniger Intrusionen als die Kontrollgruppe. Außerdem verschwanden die ungewollten Bilder schneller.
Die Wissenschaft dahinter: Dual Representation Theory
Die sogenannte Dual Representation Theory erklärt, warum diese Intervention so wirksam ist. Sie geht davon aus, dass das Gehirn nach einem traumatischen Erlebnis zwei Arten von Gedächtnisspuren anlegt:
Bildhafte, sinnliche Erinnerungen– Diese sind oft extrem lebendig und detailreich (z. B. grelles Licht, lautes Krachen) und drängen sich ungewollt ins Bewusstsein.
Sachlich-kontextuelle Erinnerungen– Diese ordnen das Geschehen zeitlich und räumlich
ein und helfen, es bewusst zu erinnern.

Dual Representation Theory (Bild mit ChatGPT erstellt)
Unter Schock werden die bildhaften Erinnerungen oft besonders stark gespeichert, während die kontextuelle Einbettung lückenhaft bleibt – das erhöht die Wahrscheinlichkeit für Flashbacks.
Tetris beansprucht intensiv die visuell-räumlichen Verarbeitungskapazitäten im Gehirn – genau die, die auch für diese bildhaften Erinnerungen zuständig sind. Wenn man das Spiel in den ersten Stunden nach einem Trauma spielt, konkurriert es mit der Speicherung der belastenden Bilder und schwächt deren Festigung – ohne die bewusste Erinnerung zu löschen.
Warum nicht einfach nur spielen?
Spannend ist: Tetris nach Unfall allein reicht nicht aus. In Studien, bei denen Teilnehmende Tetris spielten ohne vorherige Erinnerung an das Trauma, zeigte sich kein Effekt auf die Häufigkeit von Intrusionen. Der entscheidende Faktor ist der kurze „Erinnerungscue“ vor dem Spiel – er reaktiviert das Trauma-Gedächtnis gezielt, damit der visuell-räumliche Wettbewerbseffekt einsetzen kann.
Fazit: Diese Erkenntnisse machen Tetris zu weit mehr als einem Zeitvertreib. Richtig eingesetzt, ist es eine wissenschaftlich fundierte, niedrigschwellige Intervention, die direkt an den neuropsychologischen Mechanismen der Traumaverarbeitung ansetzt.




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